In Erinnerung an Manfred Gröning 1949-2023

Als am 10.11. abends das Telefon klingelte und „Manfred Gröning“ im Display stand, habe ich völlig ahnungslos abgenommen und ein: „Hier ist das andere Ende der Leitung“ erwartet, so wie Manfred sich gewöhnlich immer meldete. Helmut hatte gut eine Woche zuvor noch mit ihm telefoniert und wir wollten uns auf eine Tasse Kaffee bei ihm zu Haus verabreden. Leider ging es ihm da schon nicht gut und er versprach sich zu melden, wenn wir vorbeikommen könnten. „Helmut, das wird schon wieder“, meinte er.  So dachte ich beim Blick aufs Display, dass es Manfred wieder besser ging und einen Termin vereinbaren wollte. Statt Manfred hatte ich jedoch seine Frau Lissy am Telefon, die mir mitteilte, dass Manfred die Nacht zuvor unerwartet verstorben war. 
Seitdem ist nichts mehr so, wie es mal war.
Helmut und ich fühlten uns, als ob uns der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Wie konnte das sein? 
Die Zeit bis zur Beerdigung funktionierten wir wie ein Autopilot, suchten Ablenkung in unserem Alltag, versuchten so zu tun, als wäre nichts gewesen. Beim Kaffee im Anschluss Trauerfeier lernten wir dann einige von Manfreds Freunden und Fliegerkollegen kennen. Es zeigte sich, wie sehr sie Manfred geschätzt haben, wichtig er für sie gewesen und wie gern sie mit ihm zusammen gewesen sind.  Es waren die gemeinsamen Erinnerungen, die einander unbekannte Menschen miteinander verbanden und uns ermöglichten, Abschied zu nehmen und wieder nach vorne zu schauen.

Wir lernten die Grönings, wie wir immer sagen, im Mai 1992 auf einer 
Minisail-Veranstaltung in Stadskanaal (NL) kennen. Als frisch gebackene Modellbauer waren wir dort mit unserem allerersten Baukasten-Modell, der Smaragd von Robbe, zu Gast und froh, endlich mal mit Gleichgesinnten ein ganzes Wochenende Fachsimpeln und Segeln zu können. „Wenn ihr Fragen zu dem Modell habt, wendet Euch am besten an Manfred Gröning. Der hat darüber einen Testbericht geschrieben“, meinte jemand zu uns. „Wer ist Manfred?“  „Der da drüben mit seiner Frau Baukästen und Zubehör für Segelbootmodelle verkauft.“ Aha. Wir erstanden bei Gerda und Manfred die ersten Kleinteile, Blöcke und Wantenspanner von Pekabe. Dabei merkten wir schnell, was für eine nahezu unerschöpfliche Informationsquelle sich für uns auftat, Manfred wusste auf jede Frage eine Antwort und versorgte uns Anfänger überaus geduldig mit jeder Menge wertvoller Tipps. Sehr viel später sagte Manfred einmal zu mir, dass er uns Neulinge erst eine Weile beobachtet habe, wie wir mit unserem Modell auf dem Wasser umgingen, bevor er zu dem Schluss gekommen sei, dass wir nicht untalentiert waren und uns weiterzuhelfen, sofern wir denn Fragen hätten.  
Das konnte Manfred übrigens sehr gut, sich mit einer Zigarette entspannt irgendwo hinhocken, um das Geschehen an Land oder in der Luft zu beobachten. Nichts entging ihm, selbst dann nicht, wenn wir uns dabei mit ihm unterhalten haben. „Plüddenkram“ hörten wir häufig, wenn er dabei Modelle mit schlecht stehenden Segeln sah. 


Jedenfalls schien sein erstes Urteil über uns wohl zutreffend gewesen zu sein, fiel sein Input doch auf ziemlich fruchtbaren Boden, denn wir entwickelten sehr schnell weiter, sowohl was das Segeln als auch das Bauen anging. Wir hatten von Anfang an einen guten Draht zueinander, sodass dass im Laufe der Zeit fast unbemerkt und wie selbstverständlich aus einem guten Ratgeber ein guter Freund wurde.  Manfred war es dann auch, der uns ermutigte, den Schritt vom Baukasten-Modell zum ersten Eigenbau zu wagen und den Regenbogen, eine niederländische Einheitsklasse, in Angriff zu nehmen. Auf Manfreds Rat hin versuchten wir hierbei, auf den von den niederländischen Modellbaukollegen üblicherweise verwendeten Zusatzkiel zu verzichten. Und unsere Letty segelte allen davon…Von ihm kam dann auch die Idee, zur Refinanzierung Berichte über unsere Modelle für die Schiffsmodell zu schreiben, so wie er selbst es auch tat. Ich selbst hätte mir das zu diesem Zeitpunkt niemals zugetraut, aber es war wohl seine sehr gute Menschenkenntnis, aufgrund der er besser als wir selbst wusste, was noch alles in uns steckt. Aus einzelnen Berichten wurde später ein Buch, mit dem wir einen großen Teil unseres Wissens weitergeben konnten und wollten. An dieser Stelle war es nur folgerichtig, Manfred zu bitten, ein Vorwort für unser Buch zu schreiben, einer Bitte, die er, wie ich heute weiß, gerne nachgekommen ist. Wenn er dort schreibt, dass die Qualität unserer Modelle seinesgleichen sucht, verschweigt er dabei ganz bewusst seinen Anteil an der Geschichte. Aber auch das war Manfred, er konnte bescheiden in den Hintergrund zurücktreten und andere glänzen lassen. Dabei ist er selbst meiner Meinung nach einer der fähigsten Modellbauer, -flieger und Segler, die es je gegeben hat.

Nicht nur unsere Modelle, auch unsere Segelboote wurden im Laufe der Zeit größer, aus einem kleinen Kajütsegeljollewurde die Tringa in 1:1, ein Projekt, das er auch mit großem Interesse und Sachverstand begleitet hat. „Wenn ihr das macht, wird das schon“ bemerkte er zuversichtlich, wenn uns Zweifel kamen. Keine Frage, dass die Grönings auch beim Stapellauf dabei waren und auch die einzigen, die wir dabei haben wollten:  „Da habt ihr was Feines zusammengeklebt!“…
Fast wäre Manfred 2013 mit nach Schottland zur Fife-Regatta gekommen (hätten wir doch einen dritten Mann dort gut an Bord gebrauchen können), wenn die schwere Erkrankung und der Tod seiner ersten Frau Gerda ihn nicht aus der Bahn geworfen hätten. Doch selbst wenn es privat nicht rund lief, hat Manfred nie seinen Optimismus verloren, „das wird schon wieder“ hörten wir oft, ganz egal, was gerade wieder passiert war.  So durften wir dann miterleben, wie er mit seiner zweite Frau Lissy zu neuem Glück und neuen Aufwind fand. Auch wenn wir uns in der Corona-Zeit seltener gesehen haben, Manfred sich in den letzten Jahren überwiegend seiner eigentlichen Liebe, der Fliegerei, widmete und folglich auf allen Flugplätzen in der Gegend unterwegs war, standen wir immer in regelmäßigem Kontakt. 

Gerne denke ich an die vielen Stunden zurück, die wir in Manfreds Werkstatt gefachsimpelt haben, neues Werkzeug oder neue Modelle bewundert, neue Ideen entwickelt bzw.  Lösungen für Probleme gesucht haben. Manchmal war es einfach nur stundenlanges Brainstorming oder Hilfe zur Selbsthilfe, die uns vorangebracht haben. Keiner konnte so gut und anschaulich erklären, wie Aerodynamik in der Luft und auf dem Wasser funktioniert, warum ein Flugzeug fliegt oder ein Segelboot segelt.  Als wir einmal über Aerodynamik des Segelns und Regattataktik gesprochen haben, drückte er mir ein entsprechendes Buch von Manfred Curry in die Hand. Für weitergehende Infos... Regelmäßig tauschten wir Bücher, Pläne oder Videos und Fotos aus. Fragt die, die am meisten Erfahrung haben, riet er uns mal und seid offen für Neues. Oft erzählte er von seinen eigenen Erfahrungen, womit er uns durch die Hintertür mitteilen wollte, was man am besten nicht macht, wenn man mit einem Schiff unterwegs ist, als uns zu sagen, was wir unbedingt machen sollten. Diese Erfahrungen waren es auch, die uns am meisten weiterhalfen oder einfach nur zum Lachen brachten, und das meist bei dem unvermeidlichen Pott Kaffee, einer Bratwurst oder auch mal einem Whiskey:

„Klar bei Vor-Springheißt nicht, dass Du Idiot mit der Vorleine in der Hand von Bord springen sollst."  -  (nachdem einer seiner Mitsegler bei diesem Kommando von Bord der Segelyacht sprang, versuchte, die Bordwand eines Kümos zu erklimmen, runterrutschte und ins Wasser fiel)

„Eine Außenbordhalterung ist spätestens dann zu erneuern, wenn der Außenborder nur noch von der Hand des Skippers am Gasgriff gehalten wird..."  - (unterwegs in Holland mit seiner eigenen Segelyacht, der Außenborder wurde gerettet, weil Manfred nicht losgelassen hat) 

„Versuche nie, einen Kielzugvogel nur mit Schwert zu segeln. Wenn das große Rigg drauf ist, gehst du zu Fuß nach Haus“. - (Manfred und Gerda unterwegs mit ihrem Kielzugvogel, bei dem statt des Ballastkiels nur das Schwert eingesetzt war und es nach einer Kenterung auf dem Dümmer zu Fuß durchs Wasser zurück zum Steg ging)

„Ich lass sie ein ganz klein wenig anluven, dann segeln wir aufrechter“ - (Manfred an der Pinne unserer kleinen Kajütsegeljolle, die in den Böen gern etwas krängte)

„Kannst Du mir mal deine Frau ausleihen?“  - (Manfred zu Helmut, wenn er mal eine dritte Hand bei einem seiner Schiffe brauchte)

„Kann ich bei Euch in der Werkstatt übernachten?“ - (Manfred bei einem seiner Besuche in unserer Werkstatt, wo die große Tringa langsam Gestalt annahm)

„Dein Mann ist ziemlich nervös“...und hinterher: das war so schön, da werd´ ich noch Wochen von zehren...“  - (Manfred zu mir, als wir den fertigen Rumpf der großen Tringa u.a. mit seiner Hilfe umdrehten)

„Versuch nicht ein Rigg zu verstehen, was Du nicht selbst gebaut hast“ - (Manfred zu Gerda, als wir die große Tringa das erste Mal aufriggten und noch unzählige Beschläge anschrauben mussten)

Erst nach der Trauerfeier habe ich von seinen Freunden erfahren, wie sehr ihn seinerzeit meine Bitte gefreut hat, für unser Buch das Vorwort zu schreiben. Häufig hat Manfred auch Fotos von unseren Projekten im Freundeskreis herumgezeigt, fast wie ein stolzer Vater Bilder von seinem Kind. Bei diesen Worten muss ich fast schon ein wenig schmunzeln, hat er uns gegenüber das doch nie so deutlich gezeigt oder erwähnt. Ich denke, ein wenig stolz können wir alle sein, auf das, was wir im Laufe der Zeit zusammen erreicht haben, aber letzten Endes sind Helmut und ich einfach nur dankbar, dankbar, dass wir diesen besonderen Menschen mit all seine Facetten kennenlernen und ein Stück des Weges gemeinsam gehen durften.
 

Gisela Scharbaum

 

10 Nov 2023